INTERVIEW
Digitaler Datenschatz: Radiologie als Innovationsträger
Die Veranstaltungsreihe Forum IT bringt Experten rund um die medizinische Digitalisierung auf dem RöKo 2017 zusammen.
Berlin, 16.05.2017. Big Data und Deep Learning sind Themen, die auch in der Medizin zunehmend eine wichtige Rolle spielen. Auf dem Röntgenkongress 2017 diskutieren im Forum IT Gesprächspartner aus Krankenversorgung, Industrie, Politik und Verwaltung. Prof. Dr. Thomas Hackländer erläutert im Interview, warum gerade die Radiologie besonders geeignet ist, um Innovationen rund um wissensbasierte Systeme für Diagnose und Therapie voranzutreiben.
Herr Professor Hackländer, Radiologie und IT – Zweckgemeinschaft oder kongeniale Beziehung? Welche Rolle spielt die IT für die Radiologie heute und in Zukunft?
Wie in vielen anderen Bereichen hat auch in der Radiologie in den letzten Jahrzehnten eine umfassende Digitalisierung stattgefunden. Bis zum Beginn der 1980er Jahre hat die Radiologie rein analog gearbeitet: Zur Bilderzeugung standen im Wesentlichen projektionsradiografische Verfahren zur Verfügung, die ein Schattenbild des zu untersuchenden Organsystems auf einem Film abbildeten. Nachdem der Radiologe das Bild – ein Unikat – bewertet hat, schrieb er schließlich einen Befundbericht auf Papier. Um eine dauerhafte Archivierung sicherzustellen, verblieben Bilder und Befundtexte in den radiologischen Abteilungen. Kopien der Bilddokumente und der Befundtexte mussten relativ aufwendig und mit Qualitätseinbußen hergestellt werden. Das hieß: In der Regel gelangte erst dann ein Bild zu einem Zuweiser, wenn auch ein durch den Radiologen erstellter Befundbericht verfügbar war. Der radiologische Workflow hat sich inzwischen vollständig geändert: Zum Beispiel werden die Befundschreibung und die Befundtexte inzwischen in elektronischen Patientenakten digitalisiert und gespeichert. Auch die Untersuchungsverfahren sind heute überwiegend digitalisiert. Aktuell stehen wir an der Schwelle zu einer extrem weitreichenden Digitalisierungswelle: dem Einsatz von wissensbasierten Computersystemen zur automatisierten Diagnosestellung. „Deep Learning“ ist ein wichtiges Stichwort. Das System „Watson“ von IBM gilt hier als Vorreiter. Die radiologische Community hat die Digitalisierung des Faches ab den 1980er Jahren stets aktiv begleitet. Dabei waren die Entwicklungen meist industriegetrieben. Einzelne Radiologen haben die neuen Möglichkeiten als „Early Adopters“ getestet und so schrittweise in die Klinik eingeführt.
Prof. Thomas HackländerWie sieht heute der aktuelle Stand aus?
Die Radiologie hat alle Prozesse digitalisiert, und die Standardisierung der technischen Infrastruktur ist weitestgehend abgeschlossen. Die digitale Vernetzung mit Institutionen außerhalb der Radiologie ist weit fortgeschritten. Der Fokus der Entwicklung verschiebt sich zunehmend von der Hardware hin zur Software. Allerdings bringt der durch die Digitalisierung ausgelöste Prozesswandel innerhalb der Radiologie neue, nicht-medizinische Problemfelder mit sich, die gelöst werden müssen. Denn die Radiologie versinkt heutzutage geradezu in Daten! Außerdem besteht ein erheblicher Wirtschaftlichkeitsdruck – auch außerhalb der Radiologie. Deshalb vermuten wir, dass zusätzliche IT-Systeme in der Radiologie künftig vornehmlich in Bezug auf Wissensverarbeitung und -auswertung entwickelt und eingesetzt werden.
Warum wurde die Veranstaltungsreihe Forum IT der DRG ins Leben gerufen?
Zum einen müssen die Radiologen den neuen Herausforderungen dadurch begegnen, dass sie die Entwicklung aktiv steuern und vorantreiben und nicht – wie bisher – die industriegetriebene Entwicklung nur begleiten. Die Radiologie soll sich hierbei als Moderator zwischen Medizin und Technik verstehen. Zur Lösung offener Fragen – unter anderem zu Sicherheit, Interoperabilität und digitaler Wertschöpfung – sind der Austausch und die Zusammenarbeit von Experten aus unterschiedlichen Fach-, Gesellschafts- und Politikbereichen erforderlich. Das Forum IT soll dazu die relevanten Gesprächspartner aus Krankenversorgung, Industrie, Politik und Verwaltung zusammenbringen.
Zum anderen wird der Einsatz wissensbasierter Systeme zur Diagnosefindung oder Therapieplanung nicht nur in der Radiologie vorangetrieben, sondern flächendeckend in allen Fachdisziplinen. In der Vergangenheit wurden neue Techniken meist der Fachrichtung zugeordnet, die für den Einsatz die höchste Kompetenz hat. Für die wissensbasierten Systeme bietet sich die Radiologie als Innovationsträger an: Schon heute werden praktisch alle Patienten mindestens einmal während ihrer Behandlung in der Radiologie vorgestellt. Damit verfügt die Radiologie über sämtliche Patienteninformationen und steht damit schon heute im Zentrum des Behandlungsprozesses!
Wenn künftig diese Position ausgebaut und wissensbasierte Systeme verstärkt eingesetzt werden, werden sich neue Inhalte im radiologischen Tätigkeitsspektrum aufbauen lassen. Hierzu zählt unter anderem die Nutzung des bereits vorhandenen Datenschatzes. Die Radiologie sollte sich also künftig als Integrator von Wissen im Behandlungsprozess etablieren.
Was dürfen die Besucher des ersten Forum IT auf dem RöKo 2017 erwarten?
Am Mittwoch, 24. Mai 2017, dem ersten Kongresstag (übrigens gibt es auch RöKo-Tagestickets), stehen IT-Themen im Fokus. Zwei Kernveranstaltungen des Forum IT und zwei Spezialveranstaltungen werden sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Big Data beschäftigen und dabei Grundlagen und Anwendungen beleuchten. In einer Highlight-Session wird auch das Thema lernende Maschinen aufgegriffen.
Das Forum IT wird auf klar umrissene Themen fokussieren, die auch für Laien eingängig sind. Zielgruppen sind vor allem Radiologen, MTRA und die Industrie – aber auch Journalisten und Patientenvertreter. Jede Forum IT-Session wird zwei Themen beleuchten: den diesjährigen Schwerpunkt, das IT-Sicherheitsgesetz, sowie „Künstliche Intelligenz – das Ende des Radiologen?“ als visionären Ausblick. Die Kernveranstaltungen des Forum IT wurden von einem interdisziplinären Beirat geplant. Ihm gehören neben Vertretern der Deutschen Röntgengesellschaft auch Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Radiologen, des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. und des Bundesverbands Gesundheits-IT an.
Was sind die Ziele des Forum IT für die kommenden Jahre?
Es zeichnen sich heute schon interessante Schwerpunktthemen ab, die im kommenden Jahr aktuell werden könnten, wie etwa die Datenschutzgrundverordnung, Teleradiologie und Radiologie im Ausland.
Für die visionären Themen ist ein Fokus auf eines der neuen Werkzeuge denkbar, die der Radiologie schon jetzt ansatzweise zur Verfügung stehen. Dazu gehören etwa Kognitives Computing, Virtuelle Realität, Mobile Computing und Cloud-Datenspeicher.
Ziel dieser visionären Vorträge ist aber nicht, bestehende Techniken zu beschreiben, sondern kontrovers mit den verschieden Zielgruppen zu diskutieren, welche Einsatzgebiete denkbar sind und welche Wünsche die Anwender an die Industrie haben.
Vielen Dank für das Gespräch!